Geschichte der Atalanta

Kurzchronik

1901 Bau auf der Peterswerft in Wewelsfleth und Einsatz als Lotsenschoner "Cuxhaven" in der Elbmündung.
1930 Nach Außerdienststellung Umbau mit Yachttakelage, Motor und neuer Inneneinrichtung. Das Schiff erhält den Namen "ATALANTA".
1942 Die "ATALANTA" ist in Lobbe auf Rügen an der Seefliegerschule dienstverpflichtet.
1950 Die Bank M. M. Warburg, Brinkmann Wirtz & Co. erwirbt die "ATALANTA" und betreibt sie über 40 Jahre.
1994 Gründung des Fördervereins Schoner "ATALANTA" e.V. Wismar.
1995 Das Schiff wird Eigentum des Fördervereins durch eine Schenkung der Warburg-Bank.
2001 Fertigstellung nach achtjähriger Restaurierung und Einsatz als Jugendschiff - Feier zum 100. Geburtstag unter dem großen Zuspruch und Interesse der Öffentlichkeit.
2016 Mittlerweile ist die Atalanta ein vielbesuchter Anziehungspunkt im Alten Hafen von Wismar und feiert ihren 115. Geburtstag.
2019 Der Förderverein feiert sein 25-jähriges Bestehen mit einem Festakt im Rathaus.

Die Peterschen Lotsenschoner

Die vollkommensten Schöpfungen Wewelsflether Schiffbauer waren ohne Zweifel die herrlichen Schoner für den Lotsendienst in der Nordsee. Sie galten als Wunderwerke schnittiger Formgebung. Da diese Fahrzeuge frei bleiben konnten von den Zwängen des Frachtschiffbaus, war das Unterwasserschiff äußerst scharf gehalten. Der Boden hatte eine außerordentlich starke Aufkimmung, mit Spanten, die im Winkel von ca. 35° aus der Sponung des Kiels fast geradlinig in die Höhe gehen, um erst kurz unter der Wasserlinie in die Kimmkrümmung und in die Senkrechte des Oberwasserschiffes überzuleiten. Vor- und Achterschiff waren im Unterwasserbereich ebenfalls extrem scharf gehalten mit konkav verlaufenden Wasserlinien. Der Vorsteven verlief wie bei den Loggern und Kuttern senkrecht, während der Achtersteven um ca. 12° nach hinten geneigt war. Das Heck war leicht überhängend und rund, der Ruderschaft fuhr durch einen Koker; gesteuert wurde mit einer Pinne.

Das in kräftigem Sprung gehaltene Deck war in voller Länge durch eine feste Reling geschützt. Auf dieser lief eine ebenfalls feste, jedoch schwächere Oberreling, die lediglich mittschiffs auf ungefähr fünf Meter unterbrochen war. Hier standen beidseitig unter Schwingdavids die Versetzboote. Das gesamte glatte Deck war frei von störenden Aufbauten, abgesehen von den vier kleinen Niedergängen und Oberlichtern. Nur im Heck war ein kleines halbrundes Toilettenhäuschen errichtet. Das dadurch mögliche System der durchgehenden Decksbalken, die an keiner Stelle durch Ladeluken unterbrochen wurden, trug ganz wesentlich zur Festigkeit und somit Seetüchtigkeit dieser Schiffe bei. Diese Lotsenschoner waren ohnehin aus bestem und erlesenstem Material gebaut. Sie waren vollständig aus Eichenholz erster Qualität konstruiert, mit Kupferbolzen zusammengefügt und unter Wasser mit Kupfer beschlagen.

Getakelt waren die Schiffe als Gaffelschoner. Die Masten hatten starken (bis 10°) achterlichen Fall. Der Großmast besaß eine lose Stenge, während der Fockmast als kürzerer Pfahlmast ausgebildet war. Das Vorgeschirr bestand aus festem Bugspriet und losem Klüverbaum. Die Besegelung setzte sich zusammen aus den beiden Gaffelsegeln, die an Bäumen gefahren wurden, dem Großgaffeltoppsegel, ferner aus der Stagfock und zwei Klüver. War der Schoner auf seiner Versetzposition, wurde die Besegelung des Großmastes durch einen kurzen dreieckigen Treiber ersetzt, welcher ohne Baum gefahren wurde. Statt des großen Außenklüvers wurde dann meist ein kleinerer aufgeholt, oder man verzichtete auf diesen ganz. Die See- und Segeleigenschaften dieser Schoner wurden als ganz hervorragend gerühmt. Und die gekonnten Manöver der Schonerkapitäne fanden stets höchste Anerkennung.

Elbe- Lotsenschoner Nr. 1 "Cuxhaven"

Stapellauf
Stapellauf Schoner Nr.1 Cuxhafen, 1901

Der Lotsenschoner "Cuxhaven" wurde 1901 von Jürgen Peters an den Hamburger Staat abgeliefert. Es war ein Ersatzbau für den aus dem Jahre 1855 stammenden Schoner gleichen Namens und gleicher Nummer, der zuletzt nur noch als Oste-Riff-Feuerschiff Dienst getan hatte und nunmehr ausgemustert wurde. Das Schiff war zu 140 BRT vermessen.

Der Schoner überstand dank seiner soliden Ausführung mehrere Unfälle, ohne sonderlichen Schaden zu nehmen. So z. B. eine Strandung auf Helgoland-Düne im September 1922, oder gar eine Kollision mit dem deutschen Tanker "Wilhelm A. Riedemann" im November 1927.

Nach 28-jähriger Fahrzeit als Lotsenschoner wurde die "Cuxhaven" wie alle Lotsenschoner 1929 ausgemustert und durch maschinengetriebene Fahrzeuge ersetzt.

Umbau zur Kreuzeryacht "Atalanta" in den 1930er Jahren

Foto im Besitz der Familie Otto
Schiffseigener Arthur Otto 1930

Im Dezember 1929 kaufte der Berliner Unternehmer Arthur Otto die CUXHAVEN. Otto (geboren 1872 in Berlin) war geschäftsführender Vorstand und Generaldirektor der Firma R. Stock & Co., die Spiralbohrer, Werkzeuge und Maschinen herstellte. Er war begeisterter Segler und gründete in Berlin die Segler-Vereinigung von 1903 (SV 03)" an der „Klaren Lanke", dicht bei der Insel Schwanenwerder, deren Vorsitzender er auch war. Neben einer Yacht in Berlin hatte Otto stets auch eine seegehende Yacht an der Ostsee, zumeist in Kiel.

Das ehemalige Lotsenschiff wurde aufwändig zu einer Privatyacht umgebaut und auf den Namen „ATALANTA“ umbenannt. Bald nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten verlor Arthur Otto seine Stellung als Direktor von R. Stock & Co. Mitte der 1930er-Jahre verkaufte er das Schiff an den Deutschen Hochseesportverband „Hansa", der die „ATALANTA" an der Hanseatischen Yachtschule als Törnyacht für gehobene Ansprüche einsetzte. Arthur Otto starb nur kurze Zeit nach dem Verkauf seines Schiffes 1937.

Nach einer Zwischenstation 1934/35 in Sierksdorf zog die Hanseatische Yachtschule (HYS) nach Glücksburg an die Flensburger Förde um. Bis heute hat die HYS dort ihren Standort. In Glücksburg gehörte die „ATALANTA" ab der Saison 1936 zur Flotte der HYS.

Im Krieg an der Seefliegerschule Lobbe / Rügen

Während des Zweiten Weltkrieges wurde die „ATALANTA" an die Seefliegerschule in Lobbe auf Rügen dienstverpflichtet. Die Seeflieger hatten eine Reihe von Booten, Yachten und Schiffen. Sie betrieben damit seemännische Ausbildung der Mannschaften der Begleitfahrzeuge für die Flieger, aber auch für die Flieger selbst.

Im frühen Frühjahr 1945 flüchtete die „ATALANTA" von Lobbe nach Westen. Wahrscheinlich fuhr sie mit anderen Schiffen im Geleitzug. Die Verminung der Ostsee machte Törns auf eigene Faust zu einem unkalkulierbaren Risiko.

Es gibt Hinweise, dass das Schiff bei Kriegsende in Kappeln lag. Im Sommer 1945 machten die britischen Militärbehörden in Schleswig-Holstein gemeinsam mit deutschen Marineoffizieren eine Aufstellung aller vorhandenen Schiffe. In einer solchen Liste erscheint die „ATALANTA" als „X-Schiff". Mit diesem Kürzel wurden Wracks, kleine Fischerboote und unbedeutende Motorsegler klassifiziert. Ob die „ATALANTA" zu der Zeit ein Wrack war oder ein findiger Marineoffizier sie als „unbedeutenden Motorsegler" hat einordnen können, sodass der Schoner als Reparationsleistung uninteressant wurde, ist nicht bekannt.

Noch 1945 wurde die „ATALANTA" von der Royal Air Force beschlagnahmt und an die Elbe verlegt. Ab Schulau segelte sie als Freizeitschiff für britische Offiziere. Nach 1948 lag der Schoner ungenutzt in Wedel auf.

 

Diarama im Schifffahrtsmuseum Brake

1950 - 1994 im Besitz des Bankhauses Warburg

Helmut Schmidt am Ruder der Atalanta

1950 kaufte das Bankhaus Warburg die „ATALANTA". Eric Warburg war nach Kriegsende zunächst als amerikanischer Offizier nach Deutschland zurückgekehrt. Er war unter anderem als Dolmetscher bei den ersten Kriegsverbrecherprozessen tätig. 1956 kehrte er dauerhaft nach Deutschland zurück, trotz alledem, wie er sagte, und übernahm das rückübereignete Bankhaus. Er führte damit die 1798 gegründete Bank in fünfte Generation.

Die „ATALANTA" wurde von der Elbe nach Kiel verlegt und hatte über Jahrzehnte ihren Liegeplatz an der Reventlou-Brücke. Geführt von einer festangestellten Besatzung war das Schiff regelmäßig auf der Kieler Förde unterweg, ebenso wie auf längeren Törns in skandinavischen Gewässern. Freunde und Geschäftspartner des Bankhauses segelten bei diesen Reisen mit. Ein häufiger Gast an Bord war Helmut Schmidt, 1974 bis 1982 Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland. Schmidt war ein persönliche Freund von Eric Warburg und ebenfalls begeisterter Segler. Durch diese Verbindung segelte die „ATALANTA" dann auch gewissermaßen in politischen Gewässern. Im Sommer 1978 nutzte Schmidt einen Sommertörn mit dem Schoner für einen Besuch bei dem dänischen Ministerpräsidenten Anker Jörgensen. Auf dieser Reise war der damalige kanadische Ministerpräsident Trudeau mit an Bord, auch er ein Segler. Im August 1979 segelte Schmidt mit der „ATALANTA" nach Polen. Es war der erste Besuch eines (west-) deutschen Regierungschefs in Polen. Die Spannungen des Kalten Krieges waren noch groß. Durch die Anreise mit der „ATALANTA" sollten die Gespräche mit dem polnischen Regierungschef Eward Gierek einen privaten Charakter erhalten. (Diese Reise wird in einem Spiegelartikel von 1979 beschrieben)

Eric Warburg starb 1990 im Alter von 90 Jahren in Hamburg. Sein Schiff, die „ATALANTA", wurde 1991 außer Dienst gestellt und 1992 in der Kröger-Werft in Rendsburg aufgelegt.

Es stellte sich bei Überholungsarbeiten heraus, dass Arbeiten in sehr viel größerem Umfang dringend nötig waren. Dies hatte sich in den Jahren zuvor schon angedeutet. Das Bankhaus Warburg entschied sich gegen einen weiteren Betrieb der „ATALANTA". Ein neuer Eigner wurde gesucht.

 

Die "Atalanta" kommt nach Wismar

2001 geht es wieder ins Wasser

In Wismar waren Verantwortliche der Stadt auf der Suche nach einem Schiff, das die maritime Tradition der alten Hansestadt repräsentieren und weitertragen sollte. Sie gründeten am 1. November 1994 den Förderverein Schoner „ATALANTA" e.V., das Bankhaus Warburg übereignete das Schiff dem Verein mit der Auflage, die „ATALANTA" nach einer umfassenden Restaurierung im Rahmen gemeinnütziger Jugendarbeit zu nutzen. Der Alt-Bundeskanzler Helmut Schmidt wurde zum Ehrenmitglied gewählt.

Neben den Aktivitäten für Jugendliche ist die „ATALANTA" regelmäßig bei den großen Hafenfesten, wie Hamburger Hafengeburtstag, Kieler Woche und Hanse Sail zu Gast. Seit einigen Jahren nimmt die „ATALANTA" häufig im Juli an der Wettfahrt der Traditionssegler „fyn rundt" in Dänemark teil. Interessierte Besucher dieser maritimen Feste können bei Fahrten mit der „ATALANTA" einen Eindruck der traditionellen Seefahrt bekommen und darüber hinaus erleben, wie maritime Erbepflege, Freude am Segeln und eine fröhliche Gemeinschaft eine Crew entstehen lässt, die in nahezu allen Wettern besteht.

 

Texte und Bilder dieser langen maritimen Geschichte entstammen der Broschüre "Über ein Jahrhundert unter Segeln - Lotsenschoner "ATALANTA" von Trixi Hübner, herausgegeben vom Förderverein Schoner "ATALANTA" e.V.
Dort ist die Schiffshistorie ausführlich beschrieben und bebildert. Das Buch kann an Bord käuflich erworben werden.

Der nachfolgende Film (ca. 34 min) wurde während der Restaurierungsarbeiten in den Jahren 1996 bis 2001 gedreht und zeigt die Schwierigkeiten und Erfolge beim Refit des Schiffes. Der 100ste Geburtstag der Atalanta ist ebenso Thema, wie die ersten Probefahrten in die Wismarbucht.

Die Arbeiten wurden im den ersten drei Jahren im Rahmen von ABM und Qualifizierungsmaßnahmen des Arbeitsamtes getätigt. Hier wurden Arbeitslose zu Bootsbauern ausgebildet, sie schlossen mit dem Gesellenbrief ab.

Den weiteren Ausbau des Schiffes (Elektrik, Rigg, Segel, Navigation...) organisierte dann im Anschluss der neu gegründete Förderverein.

 

 

Dies wurde erforderlich, um umfangreiche Reparaturen und Erneuerungen zu erledigen.

Mehr Bilder dazu in der Galerie

 

Maritime Ausstellung im Baumhaus

© DOMUSimages - Alexander Rudolph

Törns buchen und Geschichte der Seefahrt erforschen

Wer etwas zur Geschichte der Wismarer Segelschiffe und zur Werft erfahren will, kann dies seit Mai 2019 im Baumhaus an der Hafenspitze tun. Dort wurde das Maritime Traditionszentrum eröffnet. Die Dauerausstellung bietet Einblicke in die Entwicklung Wismars in der Hansezeit, informiert über den Bau der Poeler Kogge „Wissemara“, die Restaurierung des Lotsenschoners „Atalanta“, des Fischkutters „Marlen“ und den Schiffbau auf der Wismarer Werft von 1946 bis in die Gegenwart mit einem Ausblick in die Zukunft.

Zu den Ausstellungsstücken gehören originale Teile des 1997 vor der Insel Poel gefundenen Wracks der „Poeler Kogge“. Diese bildetet die Grundlage für deren Nachbau. Zudem bietet das Maritime Traditionszentrum Informationen über Segeltörns in der Wismarbucht. Die Hansestadt fördert das Maritime Zentrum jährlich mit 20 000 Euro für jeden der drei Vereine. Eine entsprechende Fördervereinbarung hat die Bürgerschaft beschlossen. Die drei Vereine haben das Maritime Zentrum gemeinsam initiiert und das Baumhaus innen saniert. Die Stadt hat das Gebäude dem Förderverein „Poeler Kogge“ in Erbbaupacht übertragen. An dem Gebäude, Mitte des 18. Jahrhunderts erbaut, ist Wismars höchster Hochwasserstand aus dem Jahr 1872 mit 3,06 Meter über Normal angegeben.

Das Baumhaus war einst Sitz des „Bohmschlüters“. Früher wurde von hier aus der Hafen in der Nacht oder zur Gefahrenabwehr verschlossen. Dazu wurde von den Bohmschlütern eine Kette vor die Hafeneinfahrt gezogen, so dass unerlaubten Schiffen das Anlegen verwehrt wurde. Die Bohmschlüter waren im Baumhaus untergebracht, daher stammt der Name Baumhaus.  Später war es Sitz des Hafenmeisters. Hier befanden sich Hafenbehörde, Lotsenstation und Seefahrtsamt. Mehrere Jahre wurde das Erdgeschoss für Ausstellungen genutzt. Baulich war das Gebäude stark verschlissen. Die Vereine haben mit viel Engagement in kurzer Zeit eine neue Attraktion geschaffen. Die drei Vereine zählen zusammen mehr als 600 Mitglieder. Besucher können im Baumhaus auch Ausflüge mit den Schiffen buchen.

Öffnungszeiten:
April - Oktober: Montag - Sonntag | 11.00 - 17.00 Uhr
November - März: Freitag - Sonntag |11.00 - 15.00 Uhr
(24./25./26. Dezember, 31. Dezember und 1. Januar geschlossen)